Wie ich mit 38, meiner Royal Enfield Himalayan und einer Menge Mut am ersten Reisetag vor lauter Respekt vor den Schotterstraßen erstmal wieder umgekehrt bin.
TAUSEND TRÄNEN GLEICH AM ANFANG
Zwei Wochen nach meiner Scheidung stehe ich in Windhoek, Namibia, in meinem Hostel und habe mir wohlwissend um meine Emotionen ein Einzelzimmer gebucht.
Mein Motorrad steckt für 10 Tage im Zoll fest und ich bin ausgebremst. Von 100 auf 0 – und alle vorher verdrängten Emotionen kommen über mich. Bepackt mit meiner 100er Packung Taschentücher liege ich mit 38, frisch geschieden, die Beerdigung meines Vaters im Monat zu vor hinter mir, auf dem steinharten Hostelbett in Windhoek und heule mir die Augen aus. Nur für den Weg zur Toilette und in die Gemeinschaftsküche raffe ich mich auf. Musste ich auch, denn meine Hüfte hat die Matratze nicht lange ausgehalten.
AUF YOUTUBE SAH DAS EINFACHER AUS
Meine Nerven liegen blank.
Was habe ich mir bloß dabei gedacht, diese Reise zu machen? Allein als Frau auf dem Motorrad durch Afrika fahren und das wo ich den Führerschein gerade erst vor 3 Jahren gemacht habe und außer einmal in Indien, nur auf Deutschlands Teerstraßen unterwegs war.
In den YouTube Videos der anderen weiblichen Solo-Reisenden sah das doch so einfach aus.
Monate der akribischen Planung, unzählige YouTube-Videos, tiefe Recherchen, aber nichts davon hat mich wirklich auf den Moment vorbereitet, in dem ich zum ersten Mal den Gasgriff drehe.
Nachdem ich mich verheult öfter aus meinem Zimmer getraut habe und mir zwei nette, männliche Hostelgäste mit einem Bier Trost zugesprochen haben und bestätigten, dass Scheidungsschmerz vorübergehe, ging es schon etwas besser.
MEIN MOTORRAD IST ABHOLBEREIT
10 lange Tage voller Emotionen sind um. Nervös fahre ich mit einem Taxi in ein Industriegebiet von Windhoek, um mein Motorrad aus dem Lager abzuholen. Es hat 30 Tage auf hoher See hinter sich. Losgeschickt in Hamburg mit Ziel Namibia.
Sieht alles gut aus, es ist noch voll verpackt und vor allem schon voll bepackt mit Seitentaschen und Co angekommen. Ob es wohl anspringt und die Batterie nicht im Eimer ist?
Die Helfer im Lager enthüllen meine Royal Enfield. Ich hole den Schlüssel aus meiner Tasche, stecke ihn in das Zündschloss und drehe um. Kawummmm! Sie ist angesprungen!!!! Ich freue mich tierisch
DIE REISE BEGINNT UND ENDET NOCH AM SELBEN TAG
Richtig vollbepackt und überambitioniert für jede Situation gewappnet, alles verzurrt, von Zelt bis Kamera, starte ich vom Hostel und winke meinen Trostzusprechern zu. Vor mir liegen die weiten Straßen Namibias. Erstes Ziel: die Düne und Wüste von Sossusvlei. Vor mir liegen mindestens 200 km Schotterpiste – ob das wohl klug war für den Anfang?
Nach 20 km sagt mir Google Maps, dass ich noch mindestens 6 Stunden brauchen werde bis zum Camp. Ich habe Bedenken. Aber weiter geht’s. Wackel, wackel, das Gepäckband löst sich leicht. Ich halte an, zurre es nochmal fest. Wieder aufsteigen. Weiter geht’s.
Wieder wackel wackel, ich halte nochmal an, um das Gepäck zu prüfen und da ist es auch schon geschehen. Mein Metall-Esel kippt mit samt Gepäck um. Mehr als 200 kg kann ich dann doch nicht aufheben. Ich stehe auf der Schotterstraße und lausche: Nichts. NICHTS – kein Geräusch außer die Grillen. Mhhh denke ich leicht mulmig mit dezenter Panik: das schaffst du heute nicht mehr.
Nach 10 Minuten kommt tatsächlich ein Pick-Up vorbei. Ich halte das Auto an und habe Glück.
SO VIEL GASTFREUNDSCHAFT UND HILFSBEREITSCHAFT
Die Fahrer des Autos helfen mir mein Motorrad aufzurichten. Netterweise haben sie mein Gepäck eingesammelt und begleiten mich zurück zum Hostel in die Innenstadt von Windhoek. Ich fühle mich furchtbar. Was habe ich mir bloß gedacht? Das schaffe ich doch niemals. Verdammt, diese negativen Gedanken – „Würde Männer auch so denken?“ frage ich mich. Alles in mir schreit: Ich will wieder nach Hause. Aber ich kämpfe und unterdrücke diese Gedanken. Jetzt aufgeben wäre fatal! Ich muss durchhalten!
Ich klingel an der Hosteltür. „Überraschung, ich bin wieder da! Habt ihr für heute Nacht nochmal was frei?“ Gott wie schrecklich peinlich denke ich. Die beiden Jungs sind immer noch da und bieten mir ein Bier an. Das brauche ich.
EINEN GANG ZURÜCK SCHALTEN
Erstmal Gepäck aussortieren. Ich habe viel zu viel und ganz vorbildlich deutsch für jede Gelegenheit gepackt. Von Ersatzteil über Werkzeug bis Nahrungsmittel und Camping-Ausrüstung. Heute würde ich alles anders planen übrigens.
3 Tage später starte ich einen neuen Versuch – ja ich habe 3 Tage gebraucht, um nachzudenken und mich zu erholen und mit mir okay zu sein, erst einmal über eine Teerstraße nach Swakopmund zu fahren. Ich muss mich langsam herantasten.
BLUTIGE LIPPEN UND NOCH MEHR GASTFREUNDDSCHAFT
Namibias Klima ist so trocken, dass mir meine Lippen aufplatzen. Ich versuche es mit 5 Liter Wasser trinken am Tag, aber auch das hilf nicht. Wahnsinn. Nachdem ich am Strand von Swakopmund ein Eis gegessen habe und mir eine nette Dame ungefragt einen Tipp gibt, was ich mir noch angucken könne, ende ich am nächsten Tag in einer Mondlandschaft. Immer noch mit schmerzenden, aufgesprungenen Lippen.
Auf Google habe ich natürlich erstmal geprüft, was für eine Straße in das „Moon Valley“ führt – eine tolle hügelige Wüstenlandschaft, die an die Krater auf dem Mond erinnert. Natürlich Schotter. Oh Gott, nicht nochmal. Ich muss zugeben, dass ich meine Ängste nicht im Griff habe. Ich überlege hin und her, es sind nur 25 km. Das wirst du ja wohl schaffen denke ich. Habe ich auch.
Ich komme in einem schönen Camp mit Restaurant an und trinke erstmal eine Cola. Nichts bleibt unbeobachtet. Die Campbesitzerin setzt sich zu mir und sagte mir, dass sie mich auf dem Motorrad gesehen habe und fragt mich neugierig nach meiner Reise und wo ich herkomme. Sie sagt: „Darf ich dir helfen?“ und stellt mir ein kleines Döschen mit grünem Lippenbalsam vor die Nase. „Ihr Europäer vertragt die trockene Hitze nicht. Deswegen sehen deine Lippen so aus.“ Ich bin total verdutzt, aber merke direkt beim ersten Testen des Balsams, wie sehr das hilft. Sie schenkt mir die Dose, ich bin sehr dankbar.
CAMPEN MIT EINEM FREMDEN
Die Campbesitzerin hat natürlich einen Sohn, der auch Motorrad fährt und noch dazu professionell mit Tourunternehmen. Ob ich will oder nicht, wird der Kontakt hergestellt und ehe ich mich versah, hatte ich direkt die nächsten Unternehmungen am Start. Wow, denke ich, da habe ich aber Glück und das Schicksal hat positiv zugeschlagen. Wäre mein Motorrad nicht umgefallen und hätte ich meine Routenplanung nicht geändert, wäre ich wohl nicht an diese netten Menschen geraten.
Ihr Sohn hat direkt eingewilligt mir Walvis Bay und auf meinen Wunsch hin, die Cape Cross Seelöwenkolonie zu zeigen. Ich starte also mit einem wildfremden Mann auf eine 2 Tages-Tour mit Übernachtung gemeinsam im Zelt. Verrückt? Nein, in dem Fall nicht. Mein Bauchgefühl hat mir keine Warnungen angezeigt.
HEISS UND KALT – BRATPFANNE GEGEN DEN KOPF BEKOMMEN
Es ist früher Morgen in Swakopmund und ich mache mich auf ins Landesinnere, voller Dankbarkeit für die vergangenen Erlebnisse. Swakopmund liegt am Meer und ist mitunter recht kühl. Ich starte bei 15 Grad und ziehe mir ein Fleece unter meine Motorradjacke.
Ich fahre direkt von der Küste wieder Richtung Wüste. Auf einmal trifft mich die Bratpfanne. Es ist unbeschreiblich. Von einer Sekunde auf die andere, wie durch eine unsichtbare Barriere, schlägt das Klima von 15 Grad auf 35 Grad und ein heftiger, heißer Wind fegt mich fast von der Straße. Ich fange an zu schwitzen und suche eine Stelle, um mich umzuziehen. Aber keine Chance, der Wind ist so heftig, dass ich das Motorrad im Stehen kaum halten kann. Ich fahre weiter bis ich an meiner nächsten Übernachtungsmöglichkeit ankomme.
EINSAMKEIT IST VERDAMMT HART
Namibia empfängt mich mit endlosen Straßen und einer Stille, die nur durch das Brummen meines Motors durchbrochen wird. Wir haben April 2022 und post-Covid ist immer noch nicht wirklich viel los. Manchmal bin ich der einzige Gast im Camp oder Guesthouse, manchmal trifft man auf Paare und es ist schwer in Kontakt zu treten.
Immer noch voller Liebeskummer und Herzschmerz fühlt sich die Realität schwer, langsam, und manchmal einschüchternd an. Doch ich bin da, und es gibt kein Zurück mehr. Die Weite Afrikas verstärkt hin und wieder das Gefühl der Isolation. Doch genau diese Einsamkeit sorgt dafür, dass ich reflektiere, nachdenke, aufschreibe, was mir vorher nicht klar war. Ich lasse die letzten drei Jahre Revue passieren und frage mich, wie wir es bloß haben so weit kommen lassen: das Ende unserer Zweisamkeit. Aber das Leben geht weiter und ich muss leben!
TRÄUME NICHT, LEBE!
Die Idee zu dieser Reise entstand, als sich mein Leben schleichend verändert hat. Frust im Job und in der Beziehung schlich sich ein wie ein ewig langsamer Sickerrohrbruch und ich wollte einfach nur flüchten und mich wieder am Leben fühlen. Ich habe mich durch unzählige YouTube-Videos inspirieren lassen, besonders von Frauen, die mutig allein durch die Welt fuhren. Sie schienen eine Stärke und Freiheit zu verkörpern, die mir in meinem bisherigen Leben oft gefehlt hatte. Ich fand mich im Hamsterrad wieder und stellte alles in Frage. Was tue ich hier? Ich muss etwas anderes tun, etwas wagen!
DAS MENSCHLICHE TIER BRICHT AUS DEM KÄFIG AUS
Ich wollte ausbrechen! Aber ich bin Deutsch, das muss man vorsichtig machen, wohlüberlegt und gut geplant. Was kam da in Frage? Ein Sabbatjahr. Mit der Sicherheit in den Job zurückzugehen.
Ich wollte unbedingt einmal im Leben Tauchlehrerin sein. Den Traum hatte ich mit Anfang 20. Nun war ich bereits 38. Jetzt oder nie. Wenn ich es jetzt nicht tue, dann wahrscheinlich gar nicht mehr. Man wird ja nicht jünger. Aber einfach hinfliegen und die Ausbildung anfangen? Neee, das kam nicht in Frage. Ich fahre mit dem Motorrad zu meinem Ziel: Mosambik! Von Deutschland aus? Doch etwas zu krass, obwohl meine Fantasie fast mit mir durchging. Recherchen gestartet: Verschiffung eines Motorrades – das ist es! Und so nahmen die Dinge über 1,5 Jahre Planung ihren Lauf…
ENDLOSE WEITEN, ENDLOSE STORIES
Meine Motorradreise führte mich noch durch den Caprivi Strip oben im Norden Namibias, zwischen Angola und Botswana. Durch Botswana weiter nach Südafrika, wo ich dann eine längere Pause einlegte, um den ersten Teil meiner Tauchlehrerausbildung zu beginnen. Wenn ich es lerne, dann richtig: kaltes Wasser, Haie, Strömung, Wellen. Aber hierzu ein anderes Mal mehr.
Später in Mosambik hat sich dann meine Seele etwas erholt und einsam war ich gar nicht mehr.
Ich könnte noch pausenlos Geschichten auspacken, über den Mann mit der Machete, dem Neuseeländer Gregg, Algirdas auf dem Fahrrad, dem Polizisten, der mir eine 100€ Strafe geben wollte und Hirten, die Kühe reiten. Das folgt in einem nächsten Beitrag.